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Nachdem die Discounter Aldi, Lidl und die Aldi-Nord-Tochtergesellschaft “Trader Joe’s” seit einiger Zeit ihre Mitarbeiter in den USA für das Impfen gegen Covid-19 belohnen, stellen sich Arbeitgebern nun auch in Deutschland verstärkt die Frage, ob sie derartige Impfprämien zahlen sollen. Die Anreizwirkung derartiger Impfprämien ist in der Sozial- und Gesellschaftsforschung umstritten. Wie aber sind derartige Prämien rechtlich zu bewerten?
Individualrechtliche Aspekte
Als Maßstab für die rechtliche Wertung von Impfprämien bietet sich zunächst der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz an. Dieser verbietet es dem Arbeitgeber, in seinem Betrieb einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von Begünstigungen auszunehmen oder ihnen Belastungen aufzuerlegen (BAG v. 26.10.1994, 10 AZR 109/03). Dabei liegt immer dann ein sachlicher Grund vor, wenn dieser “auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen [beruht] und gegen keine verfassungsrechtlichen oder sonstigen übergeordneten Wertentscheidungen verstoßen [wird]” (BAG v. 18.9.2001, 3 AZR 656/00).
Gleichermaßen hat der Arbeitgeber das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB zu beachten. Es zielt entsprechend darauf ab, dass Arbeitnehmer “bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht [benachteiligt werden dürfen], weil sie in zulässiger Weise [ihre] Rechte [ausüben]”.
Die sich allein hieraus ergebenden Wertungsfragen führen in bisherigen Veröffentlichungen zum Thema Impfprämie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es finden sich sowohl Befürworter als auch Gegner.
Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Arbeitnehmern kann durchaus aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die Impfung von der Ständigen Impfkommission (STIKO) ausdrücklich empfohlen wird (so auch Fuhlrott/Fischer, NJW 2021, 657 ff.). Gleichermaßen ist davon auszugehen, dass eine Impfung den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers dient und der Arbeitgeber mit der Schaffung eines finanziellen Anreizes seinen Fürsorgepflichten nachkommt.
Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass die bisherige Rechtsprechung sehr zurückhaltend mit der Vorenthaltung von Sonderleistungen nur bestimmten Arbeitnehmern gegenüber umgeht (vgl. Naber/Schulte, 2021, 81 ff.)
Selbst die gesetzliche Regelung des § 4a EZFG, die den Arbeitsvertragsparteien eine Kürzungsmöglichkeit von Sondervergütungen für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einräumt und damit letztlich die geringe Anzahl von Krankheitstagen honorieren soll, ist nur unter engen Voraussetzungen möglich.
Denkbar könnte es also sein, sich bei der Ausgestaltung einer Impfprämie zumindest an die Vorgaben der benannten restriktiven Regelung in § 4a EFZG zu halten.
Aber wie ist damit umzugehen, dass Arbeitnehmer (jedenfalls derzeit) nicht verpflichtet werden können, sich impfen zu lassen? Müsste man dann nicht konsequenterweise auch davon ausgehen, dass die Arbeitnehmer ein entsprechend darauf gerichtetes Verlangen des Arbeitgebers rechtmäßig verweigern dürfen? Müsste mann dann nicht auch über einen Verstoß des Maßregelungsverbots des § 612a BGB nachdenken (so wohl Naber/Schulte, 2021, 81 ff.)?
Komplizierter könnte die Angelegenheit im Umgang mit insbesondere solchen Arbeitnehmern werden, für die derzeit keine Impfung vorgesehen ist bzw. nicht empfohlen wird, z.B. im Falle von schwangeren Arbeitnehmerinnen und schwerbehinderten Arbeitnehmern, deren Schwerbehinderung auf einer Vorerkrankung beruht, die eine Impfung ausschließt. Ist in diesen Fällen schon eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG anzunehmen, die einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1, 2 AGG begründen könnte?
Diese Fragen werden in nächster Zeit (nicht nur) die Arbeitsgerichte beschäftigen.
Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte
Neben individualrechtlicher Grenzen haben Arbeitgeber in Betrieben mit Betriebsräten auch betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten. So ist davon auszugehen, dass dem Betriebsrat bei konkreter Ausgestaltung der Impfprämie ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Betriebliche Lohngestaltung) zusteht. Damit ist dem Arbeitgeber der “Alleingang” verwehrt.
Fazit
Über die rechtliche Zulässigkeit von Impfprämien lässt sich kontrovers diskutieren. Den Arbeitgebern, die eine Impfprämie gewähren, muss jedenfalls bewusst sein, dass Klagen nicht ausgeschlossen werden können. Als Kläger kommen beispielsweise Mitarbeiter in Betracht, die sich ungerecht behandelt fühlen, weil sie sich auf Basis derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht impfen lassen sollen, obwohl sie wollten. Das individuelle Gerechtigkeitsempfinden und die Klagebereitschaft werden maßgeblich davon abhängen, in welcher Höhe eine Impfprämie “ausgelobt” wird: Je geringer die Zahlung, desto kleiner die Klagebereitschaft.
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